Friday, 28.06.2019 - Bratislava

Europawahlen 2019: Warum wählten wir so wie wir wählten?

Im Vorfeld der diesjährigen Europawahlen bestand die reale Gefahr einer Stärkung der euroskeptischen bis antieuropäischen Kräften im Europäischen Parlament, die sich zusammenschließen könnten, um das europäische Projekt von innen heraus zu zerstören. In diesem Zusammenhang trat für die Slowakei die rechtsextremistische ĽSNS an, die sich in den letzten Jahren fest an der innenpolitischen Szene etabliert hat und aufgrund der traditionell geringen Wahlbeteiligung bei den Europawahlen zu einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichsten von den slowakischen Bürger_innen gewählten Parteien werden konnte. Die Wahlergebnisse zeigten jedoch, dass insbesondere die proeuropäischen Slowaken und Slowakinnen, welche die Standardparteien unterstützten, diejenigen waren, die an den Wahlen teilnahmen. Obwohl die Extremisten den dritten Platz belegten, konnten sie nur zwei der insgesamt 14 slowakischen Abgeordnet_innen nach Brüssel entsenden.

In Zusammenarbeit mit EurActiv.sk und der Vertretung des Europäischen Parlaments in der Slowakei haben wir eine Nachwahlforschung des Instituts für öffentliche Angelegenheiten (IVO) unterstützt, welche die Motive der slowakischen Wähler_innen für eine bestimmte Partei sowie die Gründe für die Nichtteilnahme an den Wahlen analysierte. Die Untersuchung wurde unmittelbar nach den Wahlen anhand persönlicher Interviews an einer Stichprobe von mehr als 1.000 Befragten aus der gesamten Slowakei durchgeführt. Die Ergebnisse wurden am 28.6.2019 von Olga Gyarfášová von der Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Comenius-Universität in Bratislava in den Räumlichkeiten des Europäischen Informationszentrums in Bratislava vorgestellt. Die Forschungsergebnisse gliedern sich in fünf Themenbereiche und bringen interessante Erkenntnisse mit sich:

 

1. Teilnahme und Gründe für die Nichtteilnahme

 

Gegenüber 2014 stieg die Wahlbeteiligung in der Slowakei um fast 10 Prozentpunkte und war daher von einer gewissen Mobilisierung geprägt. Die Ergebnisse der Umfrage zeigten, dass die höchste Beteiligung bei denjenigen Personen zu verzeichnen war, die die weitere EU-Integration befürworten, einen Hochschulabschluss haben oder zwischen 25 und 54 Jahre alt sind. Im Gegensatz dazu sind die EU-Wahlen in der Regel weniger attraktiv für Menschen, die in der EU keine Zukunft sehen, eine Grundausbildung haben sowie zwischen 18 und 24 Jahren oder älter als 55 sind.

 

Die meisten Befragten gaben als Hauptgrund für die Nichtteilnahme persönliche Gründe praktischer Art (Arbeit, Krankheit, Reisen) an, an zweiter Stelle gaben die Befragten als Grund das völlige Desinteresse an der Politik an. Der dritthäufigste Grund für die Nichtteilnahme betraf Vorbehalte speziell zu den Europawahlen oder zur Funktionsweise der europäischen Verwaltungsbehörden. Euroskeptische oder anti-europäische Ansichten waren die Hauptargumente innerhalb dieser dritten Gruppe. Die Analyse zeigte, dass diese Bürger_innen ihre negative Haltung gegenüber der EU so zum Ausdruck brachten, indem sie nicht an den Wahlen teilnahmen und somit nicht für eine der euroskeptischen Parteien stimmten.

 

2. Wahrnehmung des Wahlkampfs

 

In Bezug auf den Wahlkampferfolg kann aufgrund der Forschungsergebnisse festgestellt werden, dass mit dem Interesse an der Wahlkampagne auch die Wahlbeteiligung zugenommen hat. Dennoch gab die größte Gruppe der Befragten (30%) an, die Kampagne überhaupt nicht mitverfolgt zu haben, selbst wenn sie sie am Rande mitbekamen.

 

Die Form der Kampagne, die die meisten Wähler_innen ansprach, waren Diskussionen der Kandidaten in den Medien - diese wurden von 13% regelmäßig mitverfolgt und von bis zu 50% der Befragten zumindest geringfügig registriert. Auch ein hoher Anteil der Befragten gab an, dass sie mit den Mobilisierungskampagnen der europäischen Institutionen in der Slowakei in Kontakt kamen, obwohl sie ihnen schlussendlich nicht viel Aufmerksamkeit schenkten.

 

3. Wählerprofile und Gründe der Wählerpräferenzen

 

Die Zusammensetzung der Wählerschaft der einzelnen EP-Kandidatenparteien stimmt weitgehend mit der traditionellen Wählerschaft dieser Parteien bei den Wahlen zum Nationalrat der Slowakischen Republik überein. Für die größere Anzahl von Wähler_innen war der Hauptgrund für ihre Entscheidung die langfristige Bindung an die Partei oder ihre Kandidat_innen. Eine Ausnahme bildeten die neuen Parteien von PS / Spolu, bei denen Programmpositionen sowie Sympathien für ihre Kandidat_innen entscheidend waren. Die zweite Ausnahme ist die rechtsextremistische Partei ĽSNS, die von ihren Wähler_innen aufgrund der Kandidatenaufstellung und weniger aufgrund ihres Programms oder ihrer negativen Haltung gegenüber der EU gewählt wurde.

 

In Bezug auf die Wahlprofile der Parteien ergab die Untersuchung, dass jüngere Menschen PS / Spolu oder ĽSNS und ältere Wähler_innen Smer-SD oder KDH bevorzugten. Überdurchschnittlich viele Wähler und Wählerinnen mit Hochschulabschluss sowie jene mit einem liberalen Weltbild gaben PS / Spolu oder SaS ihre Stimme. Konservative Wähler hingegen präferierten KDH, Smer oder ĽSNS. Es ist interessant festzustellen, dass auf der links-rechts-Werteachse die Mehrheit Wähler_innen von ĽSNS (47%) sich selbst zu der sogenannten „Mitte“ zählt und nur 27% von ihnen verorten sich explizit auf der rechten Achse.

 

4. Interesse an der Arbeit der Abgeordneten

 

Den Forschungsergebnissen zufolge interessieren sich bis zu zwei Drittel der Befragten nicht für die Arbeit des EP und die Arbeit unserer Vertreter_innen darin, aber gleichzeitig fühlen sich diejenigen, die interessiert sind, nicht ausreichend über ihre Arbeit informiert. Insgesamt haben bis zu 90% der Befragten in den letzten fünf Jahren keine oder nur vereinzelte Informationen zur Arbeit unserer Abgeordneten mitbekommen. Nachfrage und Angebot in diesem Bereich stimmen somit nicht überein und es wird stark von den derzeitigen Abgeordneten, aber auch von den slowakischen Medien abhängen, wie sie mit diesem Problem umgehen.

 

5. Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung und Zufriedenheit mit der Demokratie

 

Im Gegensatz zu 2009, als bis zu 80% der Befragten eine Verschlechterung der Wirtschaftslage in der Slowakei erwarteten, ging der Anteil dieser Pessimisten 2019 auf weniger als 30% zurück. Im Gegensatz dazu ist der Anteil der Befragten, die mit dem aktuellen Stand der Demokratie in der Slowakei unzufrieden sind höher (2009: 55%, 2019: 65%). Die Wahrnehmung der Demokratie in der Europäischen Union schneidet aber noch schlechter ab: Derzeit unzufrieden sind fast 60%, also um 25 Prozentpunkte mehr als im Jahr 2009.

Nähere Informationen und detaillierte Forschungsergebnisse finden Sie in den beigefügten Unterlagen.

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